Über die Entstehung
Diese Kurzgeschichte „Der Aufstieg“ beruht auf einer wahren Begebenheit: Innerhalb weniger Tage fielen drei Fahrstühle gleichzeitig aus – darunter zwei, die ich täglich benutze. Technische Defekte? Vielleicht.
Aus diesem kuriosen Alltagserlebnis entstand ein erster Textentwurf, der in vielen Schleifen mithilfe von ChatGPT überarbeitet wurde. Ich arbeite inzwischen seit über zwei Jahren mit Künstlicher Intelligenz. Nicht alles funktioniert – gerade bei mathematischen Themen treten häufiger Fehler auf. Und doch ist es immer wieder erstaunlich, welche Ergebnisse möglich sind – besonders bei Texten. Die ersten Versuche waren so überzeugend, dass ich mich intensiver mit der Geschichte befasste und schließlich das Ergebnis hier veröffentlichte.
Ein Aufzug bleibt stehen. Dann ein zweiter.
Was wie ein alltäglicher Defekt beginnt, wird für einen stillen Einzelgänger zum Beginn eines unerwarteten Wandels.
Sieben Etagen, Tag für Tag – zu Fuß.
Eine Geschichte über Routinen, Konzentration und das, was sich verändert, wenn man sich nicht mehr tragen lässt.
Nicht die Welt. Nur man selbst – Schritt für Schritt.
Szene 1 – Zuhause
Seit über einer Woche ist der Aufzug außer Betrieb. Außen an der Tür klebt ein Schild, das inzwischen wie ein fester Bestandteil des Hauses erscheint.„Techniker ist informiert.“ Kein Datum, keine Unterschrift, kein Fortschritt. Der passive Konjunktiv hängt wie ein Vorhang im Hausflur.
Er lebt im vierten Stock. Morgens geht es noch – runter ist kein Problem.
Die Stufen quietschen leicht unter den Sohlen, der Beton fühlt sich kalt an,
aber vertraut. Er zählt die Treppenstufen nicht mehr. Er kennt sie.
Jede hat ihren eigenen Ton. Inzwischen hört er schon an der dritten Stufe,
ob es regnet. Ein dumpferer Klang – dann liegt Feuchtigkeit in der Luft.
Abends ist es schlimmer. Die Einkaufstasche schneidet in die Finger.
Die Aktentasche, prall gefüllt mit Unterlagen, die niemand mehr
in Papierform braucht, schlägt gegen die Hüfte. Die Jacke ist zu warm,
aber draußen war es zu kalt, um sie offen zu tragen. Also schleppt er sich hoch.
Absatz für Absatz. Nicht keuchend – nein, soweit ist es noch nicht –, aber
mit einem lautlosen Seufzen, das sich irgendwo zwischen den Rippen staut.
Eine Mischung aus Resignation und Routine.
Die Nachbarn, die man früher gelegentlich im Aufzug traf, sind verschwunden.
Unsichtbar geworden. Vielleicht benutzen sie die Hintertreppe. Vielleicht sind sie umgezogen. Vielleicht leben sie inzwischen ganz woanders. Nur die Paketboten sieht man noch, fluchend und schwitzend. Manchmal tragen sie zwei Pakete. Manchmal ist es nur ein einzelnes Paket – ein Rückversand, kaum schwerer als die Verpackung selbst.
Szene 2 – Die siebte Etage
Montagmorgen. Nach der gewohnten Treppe zu Hause folgt der kurze Fußweg, dann die Fahrt durch Teltow.
Der modernisierte DDR-Plattenbau mit hellblauer Fassade ragt als höchstes Gebäude aus einer Umgebung von Bürohäusern, Praxen und Parkflächen.
Schlicht. Kantig. Funktional. Hier liegt sein Büro. Siebte Etage.
Immer schon ein bisschen zu weit oben für jemanden, der den Blick in die Tiefe nicht sonderlich schätzt.
Der erste Aufzug ist außer Betrieb. Ein gelber Zettel, mit schwarzem Filzstift beschriftet: „Störung. Bitte anderen Aufzug nutzen.“ Er zuckt mit den Schultern, geht durch den langen Flur. Etwa dreißig Meter bis zum hinteren Treppenhaus. Dort, beim zweiten Aufzug, hängt ein zweiter Zettel: „Auch dieser Aufzug defekt. Bitte nutzen Sie das Treppenhaus.“
Kein „Wir bitten um Verständnis“, kein freundlicher Hinweis auf die Servicefirma. Nur der imperative Befehl, dem es zu gehorchen gilt. Also beginnt er zu steigen.
In der dritten Etage meldet sich die Wadenmuskulatur. In der fünften das rechte Knie. In der sechsten kommt der Gedanke, dass das alles gar nicht nötig wäre, wenn man einfach zu Hause geblieben wäre – aber das ist Unsinn. Im Büro wartet Arbeit. Projekte. Gleichungen. Und ein Algorithmus, der sich erst nachts im Halbschlaf wieder ins Bewusstsein drängte.
Er fragt sich, wie oft man einen Aufzug benutzt, ohne es zu bemerken. Wie viele Treppenstufen man nur dann wahrnimmt, wenn der Automat versagt.
Die Tür zur siebten Etage quietscht leicht. Ein vertrauter Klang. Der Flur ist leer. Kein Murmeln aus Nachbarbüros, kein Klicken von Tastaturen. Die meisten haben sich wohl ins Homeoffice verflüchtigt. Oder aufgegeben.
Er schließt auf. Das Büro ist still und ordentlich.
Wie ein Denkraum. Wie eine Zelle.
Oder vielleicht: wie ein Nest.
Die Lüfter rauschen leise. Zwei der Workstations laufen noch – seit Freitag. Eine dritte startet gerade. Neben dem Drucker blinken die grünen LEDs des Netzwerk-Switches – unregelmäßig, als wollten sie etwas morseartig mitteilen. Ein schwacher, vertrauter Summton liegt in der Luft. Rechenzeit wartet nicht auf Aufzüge.
Er wirft die Jacke über den Stuhl, drückt ein paar Tasten, gleitet in seine gewohnte Oberfläche. Auf dem Bildschirm: ein 3D-Modell, zur Hälfte berechnet, halb offen. Im Backend läuft ein Solver. Seine Welt.
Sieben Etagen über dem Boden.
Allein, aber nicht einsam.
Szene 3 – Der Wandel
Zuerst ist es Muskelkater. Dann Routine. Und schließlich: eine Art Stolz.
Jeder Arbeitstag beginnt mit einem kleinen Aufstieg.
Man gewöhnt sich daran.
Er beginnt, früher zu kommen. Nicht aus Zwang – sondern aus etwas anderem. Vielleicht dem Bedürfnis, den Tag zu erobern, bevor er wieder zersplittert.
Draußen wacht die Welt auf – mit all ihren Fragen.
Aber hier oben ist es still. Keine Stimmen im Flur, kein Surren des Aufzugs, keine Kaffeetassen von Nachbarbüros.
Nur er. Und der Raum. Und das, was darin geschieht.
Er stellt fest, dass sich der Blick verändert. Nicht nur aus dem Fenster. Auch nach innen.
Die Gedanken werden klarer. Wer geht, denkt anders. Die Gedanken fließen im Rhythmus der Schritte, nicht der Maschinen. Sie verlangsamen sich. Sortieren sich. Der Aufstieg wird zur inneren Bewegung.
Was früher zerredet wurde, entsteht hier in einer einzigen Schleife:
Er selbst. Die Idee. Der Code.
Einmal – fast beiläufig – kommt ihm beim Treppensteigen die Lösung für ein Problem, das ihn seit Monaten beschäftigt hatte. Kein Geistesblitz, kein großer Moment. Nur ein klarer Gedanke. Fast selbstverständlich. Als hätte der Aufstieg ihn dorthin geführt.
Abends dann die Treppe hinunter. Ohne Eile.
Der Körper kennt jetzt die Stufen.
Und die Schwerkraft hilft.
Szene 4 – Die neue Kaste
Es dauert ein paar Tage, dann ein paar Wochen – und plötzlich merkt er: Er ist fast allein auf der Etage.
Früher traf man sich zufällig auf dem Flur, an der Kaffeemaschine, vor dem Aufzug.
Jetzt: keine Geräusche mehr durch die Wand, keine halb geöffneten Türen. Keine zufälligen Begegnungen.
Vielleicht arbeiten die anderen von zu Hause. Vielleicht unten, in einer der „coworking zones“. Oder vielleicht sind sie einfach nicht gekommen.
Er beginnt, Gesichter zu zählen.
Drei kennt er noch vom Sehen. Zwei davon grüßen im Treppenhaus. Einer trägt jeden Morgen einen Fahrradhelm.
Der Rest bleibt unsichtbar. Die Etage schrumpft – nicht räumlich, sondern personell.
Die siebte Etage wird still. Und irgendwie: rein.
Keine Fluktuation, keine Gespräche zwischen Tür und Angel.
Nur Rechner, Ideen und gelegentlich der Blick nach draußen – über Dächer hinweg, über Straßen, die man nicht mehr betritt.
Von der Reparatur der Aufzüge spricht längst niemand mehr.
Die Zettel hängen noch. Leicht vergilbt. Der Filzstift verblasst.
Man hatte es akzeptiert. So wie schlechtes Wetter.
Oder wie man auch Ampelphasen hinnimmt.
Irgendwann fällt ihm auf: Es fühlt sich anders an, hier zu sein. Nicht wie ein gewöhnlicher Arbeitstag.
Eher wie ein leiser Ritterschlag. Eine Auszeichnung.
Wer hier arbeitet, hat es geschafft. Nicht im ökonomischen Sinn. Sondern im physischen.
Ein Wort taucht auf – halb scherzhaft, halb ernst gemeint: „7UP“.
So nennen sich die wenigen, die noch da sind.
Keine echte Gruppe. Keine Besprechungen. Keine Nachrichten.
Nur ein kurzes Nicken auf dem Flur. Ein stilles Einverständnis.
Sieben Etagen. Kein Aufzug. Und doch oben angekommen.
Szene 5 – Rückkehr der Technik
Es ist ein Mittwoch. Unspektakulär, wie alle Mittwoche.
Er kommt wie immer gegen halb acht. Die Luft draußen ist kühl, der Himmel grau.
Er tritt durchs Foyer. Die automatische Tür schließt sich hinter ihm mit dem vertrauten, mechanischen Klacken.
Am Empfang sitzt der Mann vom Wachdienst, wie jeden Morgen. Immer leicht vornübergebeugt, eine Thermoskanne neben sich, die Uhrzeit im Blick.
„Moin“, sagt er.
Ein kurzes Nicken, ein knappes „Moin“ – wie immer.
Er will gerade zur Treppe abbiegen, da hört er ein Geräusch.
Ein Ping.
Gefolgt von einem Surren.
Dann das leise Gleiten von Metall auf Metall.
Die Aufzugstür links öffnet sich – ganz, als sei nie etwas gewesen.
Im Inneren: ein Mann im Blaumann, Werkzeugkoffer in der Hand.
Er lächelt.
„Läuft wieder.“
Er nickt, sagt nichts, geht an ihm vorbei.
Die Treppe wartet.
Er steigt – Stockwerk für Stockwerk, wie jeden Tag.
In der dritten Etage kommt ihm einer entgegen.
„Wusstest du’s? Die Fahrstühle laufen wieder!“, ruft der andere, ein bisschen zu laut.
Er nickt nur.
„Und du nimmst trotzdem die Treppe?“
Er zuckt die Schultern.
„Gewohnheit.“
Oben, im Büro, ist alles wie immer.
Die Rechner brummen, und es ist schon jetzt spürbar warm im Raum.
Er legt die Jacke ab, bewegt die Maus. Der Bildschirm flackert kurz, dann erscheint die Oberfläche.
Der Blick aus dem Fenster schweift über Dächer, Antennen, Kräne – und über Bäume, soweit das Auge reicht.
Millionen, scheint es. Ein endloses Grau.
Dazwischen ragen der Fernsehturm, die verfallenen Radarkuppeln der ehemaligen Abhörstation auf dem Teufelsberg und die Ruine des Steglitzer Kreisels auf – weithin sichtbar, wie Inseln im Winterdunst.
Die Stadt erwacht.
Er überlegt.
Morgen vielleicht den Aufzug. Nur mal testen. Vielleicht.
Aber als er später am Abend das Gebäude verlässt, nimmt er wie immer die Treppe.
Sieben Etagen, Schritt für Schritt.
Nicht aus Trotz. Nicht aus Prinzip.
Sondern weil sich etwas verändert hat.
Nicht die Welt.
Nur er selbst.
Am nächsten Morgen drückt er kurz den Knopf. Dann nimmt er doch wieder die Treppe.